Am 27.03.2021 waren wir mit einem Team bei der Demonstration zum diesjährigen Housing Action Day ab ca. 11:50 Uhr vor dem Roten Rathaus präsent. An der Demonstration beteiligten sich auf der Route vom Alexanderplatz in Mitte bis zum Endpunkt auf dem Mariannenplatz in Kreuzberg mit Halt an mehreren Zwischenkundgebungen einige tausend Menschen. Aus Perspektive der Versammlungsfreiheit verlief der Aufzug leider nicht völlig reibungslos, wie wir im Folgenden dokumentieren.
Die gesamte Versammlung wurde von einem massiven Polizeiaufgebot begleitet. Im Kontext der Demonstrationen haben wir Einheiten der 13., 14., 22., 35. und 36. Einsatzhundertschaft beobachtet sowie Einheiten des 2. technischen Zuges. Während die Polizei in unmittelbarer Nähe der Demonstration mit nur wenigen uniformierten Beamt*innen an der Spitze und mit mit gelben Westen als „Kommunikationsteam“ gekennzeichneten uniformierten Beamt*innen präsent war, zeigte sich im weiteren Umfeld über die gesamte Route der Demonstration ein anderes Bild. Dort war die Polizei überall mit Einsatzfahrzeugen präsent, die Seitenstraßen in einiger Entfernung der Route teilweise mit quergestellten Einsatzfahrzeugen blockiert. Auch wenn Teilnehmer*innen der Demonstration nicht direkt von diesen Maßnahmen betroffen waren, erzeugten diese für Außenstehende doch ein abschreckendes Bild der Versammlung. Es ist davon auszugehen, dass massive Polizeipräsenz bei Passant*innen und Anwohner*innen das Bild einer Gefährdungslage suggeriert und dementsprechend ein Hinderungsgrund für die Teilnahme an der Demonstration sein könnte, die zu keinem Zeitpunkt während der Versammlung gegeben war. Außerdem hat der Eindruck entstehen können, dass der Zugang zur Versammlung nicht ungehindert möglich sei. Insofern war die massive Polizeipräsenz an diesem Tag unverhältnismäßig und das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zumindest zum Teil eingeschränkt.
In der Auftaktkundgebung am Roten Rathaus waren drei mit gelben Westen gekennzeichnete Zivilbeamte des Berliner Staatsschutzes präsent. Versammlungen haben grundsätzlich staatsfern zu sein, weshalb Polizist*innen nur in Ausnahmefällen, z.B. im Kontext angenommener Straftaten, direkt in das Versammlungsgeschehen eingreifen dürfen. Die Beamten des Staatsschutzes verfolgten aber offensichtlich das Interesse, nach bestimmten Personen bzw. Personengruppen Ausschau zu halten. Dies rechtfertigt in keinster Weise ihre Präsenz auf der Auftaktkundgebung. Erschwerend kommt hinzu, dass die anlasslose und unverhältnismäßige Beobachtung einzelner Personen und Personengruppen durch Staatsschutzbeamte evtl. das Potential hat, diese und evtl. auch andere Versammlungsteilnehmende bei der Wahrnehmung ihres Grundrechts auf Versammlungsfreiheit einzuschränken oder sogar abzuhalten. Da wir ähnliches Gebaren des Berliner Staatsschutzes auch bei vielen anderen Versammlungen beobachteten, fordern wir den Berliner Staatsschutz auf, diese versammlungsfreiheitsfeindliche Praxis einzustellen und das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit aller Teilnehmenden zu respektieren!
Als der Demonstrationszug einen Zwischenkundgebungsort in der Oranienstraße in Kreuzberg auf Höhe der Alten Jakobstraße erreichte, vielen uns zwei ungekennzeichnete Beamte in Zivil auf einer sich im Kreuzungsbereich befindlichen Bank sitzend auf. Als der Demonstrationszug vollends zum Stehen kam, begaben sich die Beamten in unmittelbare Nähe des Demonstrationszuges. Wir haben die beiden Beamten darauf angesprochen, ob ihre Anwesenheit in der Demonstration der Versammlungsleitung bekanntgegeben worden sei (siehe §11 VersFG BE). Dies wurde uns gegenüber verneint mit dem Hinweis, es reiche, wenn wir sie als Polizisten erkennen. Als wir gegen diese Aussage protestierten, haben die beiden Beamten die Demonstration verlassen.
An dieser Stelle bleibt abschließend anzumerken, dass sich die Formulierung der Rechtslage mit dem seit dem 28.02.2021 in Kraft getretenen Berliner Versammlungsfreiheitsgesetz im Bezug auf ungekennzeichnete Beamte in Demonstrationen deutlich verschlechtert hat. Mussten sich nach alter Rechtslage alle Polizist*innen in einer Versammlung als solche zu erkennen geben, liegt die Zuständigkeit der Erkennbarmachung der eingesetzten Zivilbeamten bei der Einsatzleitung. Das könnte dazu führen, dass es von polizeilicher Seite für zulässig erachtet werden könnte, ungekennzeichnete Polizist*innen in der Versammlung einzusetzen. Dies würde dem Grundsatz, dass Versammlungen staatsfern stattzufinden haben, zuwiderlaufen und damit das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit grundsätzlich einschränken. Um langwierige gerichtliche Klärung dieser schwammigen Formulierung zu vermeiden, fordern wir den Gesetzgeber auf, unverzüglich nachzubessern und klar und deutlich gesetzlich zu verankern, dass sich alle in einer Demonstration eingesetzten Beamten unverzüglich und zu jeder Zeit als solche zu erkennen geben müssen.