Bericht: „Ihr seid keine Sicherheit“-Demonstration am 8. Mai 2021, Berlin

Am 8. Mai 2021 waren Menschen der Kritischen Demobeobachtung Berlin zusammen mit Menschen der Kritischen Jurist*innen FU Berlin bei der Demonstration „Ihr seid keine Sicherheit“ präsent. An der Demonstration beteiligten sich unserer Schätzung nach ca. 10.000 Menschen. Wir begleiteten die Demonstration mit zwei Teams. Ein Team war an der Spitze der Demonstration, ein Team war im hinteren Drittel.

Insgesamt wurden das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit im Verlauf der Demonstration seitens der Polizei weitgehend gewährleistet. Dennoch kam es zu einigen eklatanten Verstößen der Polizei, vor allem auch bereits im Vorfeld der Demonstration, wie wir im Folgenden dokumentieren.

In ihrer Pressarbeit hat die Polizei schon in den Tagen vor der Demonstration ein abschreckendes Bild gezeichnet. Exemplarisch dafür ist eine Meldung der dpa (z.B. hier: https://www.tagesspiegel.de/berlin/2500-teilnehmer-angemeldet-linksradikale-gruppen-wollen-in-berlin-gegen-polizeigewalt-demonstrieren/27166136.html). In der Meldung wird die Demonstration in unmittelbaren Zusammenhang zu den Ereignissen im Kontext der „Revolutionären 1. Mai“-Demonstration gesetzt und vor möglichen Ausschreitungen wie an diesem Tag gewarnt. Aus diesem Grund wird laut dpa eine Begleitung der Demonstration mit einem großen Polizeiaufgebot angekündigt. Dass in die dpa-Meldung offensichtlich Informationen eingeflossen sind, die von der Polizei stammen (Zitat: „Angemeldet seien 2500 Teilnehmer, hieß es bei der Polizei. Die Polizei wird die Demonstration mit einem größeren Aufgebot begleiten.“), spiegelt für uns das Interesse der Polizei wieder, im Vorfeld ein Bedrohungsszenario, das von der Demonstration ausgeht, zu kreieren. Dies verstößt eklatant gegen das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Es ist gängige Praxis für die Polizei, im Vorfeld von Demonstrationen sogenannte Gefahrenprognosen zu erstellen. Diese dienen der Einsatzplanung und sind zumindest aus polizeilicher Sicht legitim. Wenn diese Gefahrenprognosen aber dazu eingesetzt werden, im Vorfeld der Demonstration auf die politische Meinungsbildung einzuwirken, überschreitet die Polizei ihre Kompetenzen bei weitem. Die Polizei als Organ der Exekutive ist Gewährleisterin des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit. Damit beginnt und endet ihre Aufgabe. Der politische Diskurs ist eine öffentliche Diskussion, an dem sich verschiedenste Akteur*innen beteiligen können und sollen. Das wichtigste Instrument dafür ist das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Wenn die Polizei als Akteurin auftritt, die medial vermittelt Einfluss auf die öffentliche Debatte nimmt, widerspricht sie eklatant ihrem Aufgabenbereich. Mehr noch: Durch die Erzeugung von Bedrohungsszenarien tritt sie als aktiver Teil der öffentlichen Debatte in Erscheinung, wird politische Akteurin, überschreitet damit bei weitem ihre qua Gesetz geregelte Kompetenz und, was noch schwerer wiegt, wirkt damit aktiv dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit entgegen.

Am Tag der Demonstration war die Polizei wie angekündigt mit einem Großaufgebot präsent. Wir konnten im Verlauf der Demonstration Einheiten der 11., 13., 15., 24., 31., 33., 35., A1, C1 und T1 Einsatzhundertschaft beobachten.

Auf der Auftaktkundgebung am Platz der Luftbrücke waren auch sechs Beamt*innen des polizeilichen Staatsschutz (LKA 52) in zivil, gekennzeichnet mit gelben Westen mit der Aufschrift „Polizei“ präsent. Diese beobachten die Aufstellung des Demonstrationszuges und positionierten sich wie wir in Richtung der Aufzugstrecke. Um 13:30 Uhr löste sich einer der Beamten von seiner Gruppe, zückte sein Smartphone und hielt die Kameras in unsere Richtung. Wir betrachten das Verhalten des Beamten aber als eindeutigen Einschüchterungsversuch gegen uns. Als gekennzeichnete Demonstrationsbeobachter*innen sind wir nicht Teil der Demonstration, sondern beobachten die Einhaltung und Gewährung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit durch die Polizei. Es gab im gesamten Verlauf der Versammlung keinerlei Anlass dafür, Film- oder Bildaufzeichnungen anzufertigen. Damit verstößt das Verhalten des Beamten eindeutig gegen §18 Abs.1 Versammlungsfreiheitsgesetz Berlin (VersG BE). Es dürfen nur Aufnahmen gemacht werden, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass von Personen eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht. Wenn der Beamte eine Anfertigung von Aufnahmen mit unseren pinken Westen mit der Aufschrift „Observer“ rechtfertigen will, ist das mehr als absurd. Nichtsdestotrotz sind – sollten Aufnahmen gemacht worden sein – diese nach §18 Abs.3 unverzüglich zu löschen. Dies gilt auch für alle weiteren Aufnahmen, sollten welche entstanden sein. Und selbst wenn der Beamte uns richtigerweise nicht als Teil der Versammlung angesehen hat, ist dieses juristisch fragwürdig. Je nach Aufnahme könnten unsere Persönlichkeitsrechte oder unsere Rechte am eigenen Bild verletzt worden sein.

Wir verurteilen deshalb das Verhalten des Beamten aufs Schärfste und fordern, Einschüchterungsversuche zukünftig zu unterlassen! Es wird bei Versuchen bleiben, denn wir betrachten das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit als hohes Gut. Dafür einzutreten werden wir uns auch von offensichtlichem Fehlverhalten einzelner Beamter nicht abschrecken lassen. Außerdem fordern wir den Gesetzgeber auf, hinsichtlich der Kennzeichnungspflicht von Polizeibeamt*innen nachzubessern. Im Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) ist die Kennzeichnungspflicht in §5a geregelt. Sie ist dort vor allem für Beamt*innen in Dienstkleidung geregelt. Für Beamt*innen in zivil gibt es dort keine explizite Regelungen. Im oben beschriebenen Fall, aber auch in anderen Fällen, wenn eingesetzte Beamt*innen z.B. des LKA 5 teils aktiv ins Versammlungsgeschehen eingreifen, ist dies problematisch. Wir fordern deshalb eine Nachbesserung in diesem Bereich, die nicht anders lauten kann, als allen Beamt*innen, die potentiell aktiv ins Versammlungsgeschehen eingreifen, gut sichtbare, individuelle Kennzeichnungspflicht wir ihren uniformierten Kolleg*innen vorzuschreiben.

Nachdem die Demonstration ihren Abschlussort Spreewaldplatz erreicht hat, fand dort eine Kundgebung mit mehreren Redebeiträgen und Musikbeiträgen statt. Die Teilnehmer*innenzahl schätzen wir bis zum Ende der Versammlung um 17:10 Uhr im mittleren dreistelligen Bereich. Während der Abschlusskundgebung postierten sich immer mehr Polizeikräfte in unmittelbarer Nähe der Versammlung und vermittelten so ein abschreckendes Bild. Diese Maßnahme ist in keinster Weise durch den Verlauf der Versammlung zu rechtfertigen, vermittelt ein abschreckendes Bild von der Versammlung und für die verbliebenen Teilnehmer*innen und war dementsprechend absolut unverhältnismäßig.

Außerdem durchstreiften einzelne Beamt*innen unmittelbar die Versammlung. Dies ist unzulässig. Versammlungen haben grundsätzlich staatsfern zu sein, es gab keinen Anlass, unmittelbar auf die Versammlung einzuwirken.

Nach Beendigung der Versammlung zerstreuten sich die ehemaligen Teilnehmer*innen. Damit schien für die Polizei der Zeitpunkt gekommen, einen Person durch zwei Beweissicherungs- und Festnahme-Einheiten um 17:13 Uhr vorübergehend in Gewahrsam zu nehmen. Ehemalige Versammlungsteilnehmer*innen begleiteten wie wir die Gewahrsamnahme, die für uns aus unerfindlichen Gründen stattfand. Daraufhin legte die beteiligten Polizist*innen ein äußerst aggressives Verhalten an den Tag. Einzelne von uns, wie auch andere, wurden rüde geschubst und gestoßen und mit gezückten Pfefferspraykanistern bedroht. Einzelne von uns verspürten Augenreizungen, was im Verlauf der Geschehnisse auf Pfeffersprayeinsatz schließen lässt. Außerdem wurde die Maßnahme von filmenden Beamt*innen begleitet. Wir verstehen den Einsatz und die Art und Weise, wie er durchgeführt wurde, als Provokation der Polizei mit dem Ziel, Bilder zu erzeugen, die sie im Vorfeld der Demonstration medial verbreitet hat und verurteilen ihn aufs Schärfste.