Die Kritische Demobeobachtung Berlin (KDB) war mit einem Team bei der jährlichen Gedenkdemo für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht vor Ort. Im folgenden fassen wir zunächst in einem kurzen Bericht unsere Beobachtungen zusammen, abschließend bewerten wir die Ereignisse in einem Statement.
Bericht
Wir waren ab 09:55 Uhr am Startpunkt der Demonstration und mit pinken Westen mit der Aufschrift „Observer“ deutlich als Beobachter*innen gekennzeichnet. Zum offiziellen Beginn der Versammlung um 10:00 Uhr waren ca. 400 Menschen am Startpunkt versammelt, die alle durchgängig Mund-Nase-Schutz trugen und ausreichend Abstand zueinander hielten.
Um 10:09 Uhr stürmten mehrere Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten (BFE) der 23. und 33. Einsatzhundertschaft (Ehu) der Berliner Bereitschaftspolizei ohne Vorwarnung und ohne für uns ersichtlichen Grund unter massiver Gewaltanwendung in die Demonstration und zogen mehrere Personen aus der Menge. Die in Gewahrsam genommenen wurden teils unter Anwendung von sogenannten Schmerzgriffen an Handgelenken und im Gesicht aus der Menge gezogen und zu Gefangenentransportern am Frankfurter Tor Ecke Petersburger Straße verbracht. Einzelne Personen wurden davor noch von einzelnen Polizeibeamtinnen am Boden liegend mit Tritten und Schlägen misshandelt, bei einer Festnahme haben wir beobachtet, wie sich ein Beamter der 33. Ehu zur Fixierung auf den Kopf eines am Boden liegenden setzte. Insgesamt wurde die Demonstration mehrfach von der Polizei angegriffen, teilweise mit Schlagstockeinsatz und massivem Einsatz von Pfefferspray. Dabei wurden immer wieder Personen aus der Menge gezogen. Insgesamt haben wir am Frankfurter Tor mindestens 24 Ingewahrsamnahmen gezählt. Viele der Betroffenen hatten dabei Platzwunden am Kopf und im Gesicht. Zudem mussten sehr viele Demonstrierende von anwesenden Demosanitäterinnen versorgt werden.
Erst ab 10:24 Uhr erfolgten Durchsagen vom Lautsprecherwagen der Polizei, mit der Aufforderung, dass die Demonstration erst loslaufen könne, wenn alle Embleme der angeblich verbotenen FDJ (Freie Deutsche Jugend) aus der Demonstration entfernt wären. Später wurde die Durchsage noch ergänzt, mit der Aufforderung, dass die Demonstrierenden die Abstände einhalten sollten.
Der Demonstrationszug konnte sich erst gegen 11:00 Uhr in Bewegung setzten. Um 11:49 Uhr haben wir beobachtet, wie Beamte der 23. Ehu den gesamten Demonstrationszug, vor allem den sog. Internationalistischen Block auf Höhe des U/S-Bhf. Frankfurter Allee vor dem Ringcenter anlasslos abfilmte.
Als die Demonstration an ihrem Endkundgebungsort ankam, haben wir unsere Beobachtung beendet.
Statement
Wir sind schockiert über die Ereignisse währende der LL-Demo, vor allem über die massive Polizeigewalt am Frankfurter Tor. Die Polizei hat an diesem Tag nicht nur schwerste Verletzungen bei den Versammlungsteilnehmer*innen billigend in Kauf genommen, sondern auch das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit buchstäblich mit Füßen getreten.
Anders als die Polizei in ihrer Pressemitteilung vom 11.01.2021 verlautbart, war es unserer Wahrnehmung nach für die Teilnehmer*innen der Demonstration zu Beginn nicht erkenntlich, weshalb die Demonstration nicht loslaufen kann. Es wurde nicht die Möglichkeit eingeräumt, die Embleme der FDJ ggf. zu entfernen. Dass die Aussage, bei der FDJ handele es sich um eine verfassungswidrige Organisation, bestenfalls juristisch umstritten ist (vgl. z. B. https://www.maz-online.de/Brandenburg/Tragen-von-FDJ-Hemden-bleibt-straffrei), zeigt, dass die Übergriffe der Polizei auf die Demonstration – anders können wir sie nicht bezeichnen – politisch motiviert waren.
Es war absolut unverhältnismäßig, die körperliche Unversehrtheit vieler Versammlungsteilnehmerinnen durch massiven Einsatz von körperlicher Gewalt, Reizgas und Schlagstöcken zu gefährden. Durch den Einsatz der Polizei war es den Teilnehmenden zudem unmöglich, Infektionsschutzmaßnahmen einzuhalten. Die Aufforderungen durch den Lautsprecherwagen der Polizei, Abstände einzuhalten, wenn die Möglichkeit durch Polizeiketten nicht gegeben ist, ist zynisch. Dazu kommt noch, dass einzelne Beamtinnen während der Maßnahmen keine oder unter der Nase sitzende Mund-Nase-Bedeckung getragen haben. Dies setzte die Teilnehmenden einem erhöhten Ansteckungsrisiko aus, stellt klare Verstöße gegen das Infektionsschutzgesetz dar und verletzt die Vorbildfunktion der Polizei. Insofern war das Agieren der Polizei unverantwortlich.
Die Polizei hat auch während einer Pandemie die Aufgabe, das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zu gewährleisten. Unverhältnismäßige und von Polizeigewalt geprägte Einsätze wie an diesem Sonntag am Frankfurter Tor zeigen ein gegenteiliges Bild. Einigen wurde auf umstrittener juristischer Grundlage ihrem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit beraubt, viele konnten aufgrund erlittener Verletzungen ihr Demonstrationsrecht nicht mehr wahrnehmen. Unserer Wahrnehmung nach war das ein wesentlicher Aspekt bei der Massivität des Polizeieinsatzes: die Grundlegende Einschränkung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit.
Kritische Demobeobachtung Berlin